Hinter der Vintage-Mode

    Heute interessiert mich, warum man eigentlich Mode trägt, die offenbar schon aus der Mode gekommen ist. Zu diesem Thema habe ich nämlich ein lesenswertes Buch namens “Old Clothes, New Looks“ von Alexandra Palmer und Hazel Clark gefunden, die sich mit Vintage-Mode rund um den Globus aus wissenschaftlicher Sicht beschäftigen.
    Kleidung zu tragen, die einst modisch war, wird historisch oft mit einem künstlerischen Geschmack assoziiert, der den Träger als exzentrisch positioniert, weil der Stil entgegen dem der Masse ausgedrückt wird. Es ergibt sich ein „armer Look“, der eben mit einem Künstler-Bohemian-Leben verknüpft wird und so die „Banalität des alltäglichen Lebens in ein kontinuierliches Werk der Kunst mit dem eigenen Selbst als Zentrum“ wandelt. Die Frauen der New York Beat Generation haben es in den 1950ern vorgemacht: mit lockeren, billigen Kleidern von der Stange, die mit Perlen aufgepeppt wurden. Wohlhabende Europäer/innen haben eine lange Geschichte im Tragen von nicht-westlicher Kleidung als eine Form von Exotismus. In den späten 60er und frühen 70er Jahren begünstigte die Hippiemode die Schönheit und Authentizität nicht-westlicher und Vintage-Kleidung, die in Antikläden, Charityshops und auf Flohmärkten entdeckt wurde. Auch viele Prominente schwören auf Second Hand-Mode: Cameron Diaz, Kate Moss und Jade Jagger sind nur einige Beispiele. Heute ist das Tragen von gebrauchter Kleidung zu einem Mainstream-Phänomen verkommen, das sich tief verankert hat in der Produktion der globalen Mode, im Marketing und dem Konsum. Der Begriff "Vintage" wird benutzt, um ein großes Spektrum von Mode abzudecken, das kein neues Design hervorgebracht hat. Originale Second Hand-Mode wird international von der Avantgarde getragen - da spielt auch das Alter keine Rolle. Auch die finanzielle Lage differiert: sowohl wohlhabende als auch Leute mit mittlerem Einkommen kleiden sich mit Vintage-Mode, um individuell zu sein. Und das können sie, denn die Stücke sind einzigartig, es können keine Duplikate mehr angefertigt werden. Die Suche nach Originalität und Einmaligkeit ist teilweise eine Reaktion zu der Globalisierung der enormen Modeketten auf allen Preisebenen. Die augenblickliche Nostalgie für Second Hand-Kleidung aus allen Jahrzehnten ist eine andere Interpretation von Mode als einer Form von "Bricolage", die gebrauchte Sachen umgestaltet, so Palmer und Hazel. Und was nicht vergessen werden darf: es ist nicht immer so leicht, an Vintage-Kleidung zu kommen. Da ist es eine gute Alternative, selbst etwas im Retrodesign zu nähen, um seiner Individualität auf authentische Weise Ausdruck zu verleihen. So unabhängig das Allein-zu-Hause-nähen ist, so ist es doch auch eine Form von Unabhängigkeit, Vintage-Kleidung ausfindig zu machen und zu tragen - der Massenmodeindustrie zu entkommen. Es ist die Einzigartigkeit von Vintage, die Käufer anzieht. So können sie sich selbst als Kenner und Sammler sehen, was den Kauf von alten Waren kompliziert macht (hinsichtlich Stil und Preis) - und spannend. Immer wieder, überall.<